· 

THE SLOW READERS CLUB

The Spirit of Manchester!

 

Es war ein grauer, (hoch-)nebeliger Herbst-Tag als mein Display aufleuchtet und mir die Nachricht eines sehr lieben, guten alten Freundes angezeigt wird. Einer jener treuen Gefährten, die mit mir seit Jahren sehr leidenschaftlich den gleichen Musikgeschmack teilen. Mit dem ich mich oft über super Bands, neue Platten ausführlichst ausgetauscht und lange Nächte in Konzerthallen oder bei Festivals verbracht habe. Ehe dies in den letzten Jahren aus verschiedenen Gründen und Lebenssituationen nachgelassen, die emotionale Verbindung dazu aber nie aufgehört hat. „Oida, Michi“, lese ich schmunzelnd und weiter in Großbuchstaben „THE SLOW READERS CLUB, warum hast du mir die bisher verschwiegen, das nehme ich persönlich…“. Amüsiert wie verwundert ob seiner Erregung, steigt bei mir im selben Ausmaß die Neugier. Der Bandname ist mir überhaupt nicht geläufig, wiewohl er sehr spannend und originell klingt.  Kann mich auch nicht erinnern, dass sie mir je untergekommen wären oder ich bewußt wahr genommen hätte. Weder bei meinen Recherchen im Internet, einschlägigen Musikzeitungen, noch im geschätzten Lieblingssender FM4 oder den Austrian Indie Charts, die ich seit einiger Zeit mittels wöchentlichem Voting mitgestalten darf.

 

Das kann ich natürlich so nicht stehen lassen, mein erster Gedanke. Und was tut man in so einem Falle im digitalen Zeitalter? Richtig! Das denkbar Einfachste. In den riesigen Datenstrom und -fundus einsteigen und mal etwas schlau machen. Die Band stammt aus Manchester. Sehr cool. Die englische Industrie-Metropole mit dem historisch schwermütigen Charme der working class. Bekannt nicht nur für sehr erfolgreichen Fußball, sondern auch Wiege großartiger und sehr einflußreicher Indie-Bands der 80er und 90er Jahre. Die großen und wunderbaren Smiths haben die Musikszene nachhaltig geprägt und sind bis heute eine Allzeit-Größe. Für mich immerwährende Helden und unsterblich. In deren Sog die bunten James und die kurzzeitigen und dennoch ewig verehrten Stone Roses. Dazu coole Bands wie The Cult, The Charlatans und die Inspiral Carpets, sowie berüchtigte Manchester Ravers wie die verrückten Happy Mondays oder Primal Scream, die mehr gelungene Indie-Tanzmusik als echte Raves machten. Ihre berühmten Erben die Gallaghers von Oasis, The Verve, Doves, Elbow oder Starsailor. Und schon lange davor ganz am Anfang natürlich die legendären, bahnbrechenden Joy Division mit ihrer aufgrund des Suizides von Frontman Ian Curtis leider viel zu kurzen, aber äußerst bemerkenswerten Schaffenszeit. Aus deren verbliebenen Mitgliedern die nicht minder formidablen New Order um Sänger Bernhard Summer und Bassist Peter Hook entstanden, die bis heute noch aktiv sind. Diese Stadt mit dem ganz eigenen Flair, die sich in den letzten Jahren etwas modernisiert und ziemlich „gemausert“ hat. Ihre großen Söhne sind und bleiben unvergessen und geliebter denn je, huldigend verehrt. Eine Stadt als Nährboden für besondere Musik, die ich sehr schätze, wie viele andere. Das sind mal keine schlechten Voraussetzungen.

 

Somit einmal Youtube anwerfen und kurz anspielen, als den nächsten logischen Schritt. Schon beim Erklingen der ersten Töne bin ich hellauf begeistert und sofort in den Bann gezogen. Wow! Ur-geile Gitarrenmelodie, starker Gesang, super Song. Dieser Effekt läßt auch bei weiteren Kostproben nicht nach und meine aufgeregten Empfindungen zunehmend wachsen. Weitere Recherchen ergeben, dass die Band in ihrer bestehenden Struktur und Sound mit dem Album „Calvacade“ 2015 erstmals so richtig in Erscheinung getreten ist. Und wie! Eine Wahnsinns-Platte. Ein Lied besser als das andere. Songs, die mich allesamt extrem berühren, ich regelrecht in mir aufnehme. Mit jeder Sekunde Hörgenuss, wundere ich mich mehr und mehr, diese formidable Band nicht schon längst selber entdeckt zu haben. Unglaublich. Strange. Dem eigentlichen Debut folgten drei weitere starke Alben 2018 „Build a tower“ und 2020 deren gleich noch zwei. Hieß das ausgezeichnete Werk am Anfang des Jahres noch „The Joy of the Return“, folgte die fürchterliche Pandemie und mit hörbarem Sinneswandel der Nachfolger sehr bezeichnend als „91 Days of Isolation“ betitelt. Jedes der vier Werke hat seine ganz eigene Anziehung und Reiz.

 

Die Einflüsse der Ur-Mancunians Joy Division sind allgegenwärtig und deutlich spürbar. Im düster eindringlichen Gesang, den dunklen Melodien, schwermütigen Texten und der ganzen Atmosphäre. Hypnotisierend. „I saw a ghost“ oder „Barricades“ beispielsweise sind Joy Division pur. Noch stärker erinnern sie an eine weitere Band, die von den gleichen Vorbildern stark geprägt wurde und deren Vermächtnis gekonnt weiterführt. Die so sehr geliebten Editors, eine der besten Indie Bands der Neuzeit. „All I hear“ könnte als der kleine, ebenso adrette Bruder von „Munich“ durchgehen. Weitere Gedanken an keine Geringeren als die guten alten Cure. „Everything I own“ klingt wie ein lost song der großen Grufties und Berufsmelancholiker. Eindeutige Reminiszenzen an die 80er Jahre, die an verschieden Sequenzen immer wieder durchdringen, man sich dabei sogar ein wenig an die alten The Mission oder The Cult erinnert fühlt.
Bei den Gitarrenriffs und Synthieklängen schimmern hin und wieder auch Interpol, die Kings of Leon oder gar Depeche Mode durch. Auch die frühen Killers, als sie noch eine echte Indie-Band waren, bevor sie sich mit dem kommerziellen Einheitsbrei ins Bett gelegt hatten,  aus dem sie bis heute leider nicht mehr aufgestanden sind. „You opened up my eyes“ und „Two minutes hate“ hätten sich sehr gut auf deren ausgezeichnetem Erstling „Hot Fuss“ gemacht. Eine eindrucksvolle Mischung aus all dem. Und dennoch eine mächtige, eigenständige Erscheinung.

 

Sänger Aaron Starkie’s beherrscht Curtis‘ Timbre genauso wie das zuweilen eingesetzte Falsett von Tom Smith der Editors oder einst Jimmy Sommerville von Bronski Beat. Dazu spielt Bruder Kurtis die Gitarre ganz wunderbar in den verschiedensten Facetten. Sehr abwechlungsreich, mal eindringlich vorwärtstreibend, dann wieder vereinnehmend verträumt, stets das Tempo vorgebend. Die Drums und der Bass, der zeitweilig wie damals von Level 42 schnell gezupt wird, vervollständigen den klassischen Indie-Pop Sound. Sehr intensiv und eingängig mit großer emtionaler Wirkung. Zumindest bei mir. Die Texte tun ihr Übriges. Songzeilen wie- „…I saw a shadow, hanging over me“, „This is my darkest moment, I feel the fear takes over me“ „Distant memory tells our deep regrets“ „I can hear the quiet singing“ „You cure my hearts disease, now I am down on bended knees and waiting for the heart attack“ „You are my inspiration, future and my past, I am forever in your debt, to the end“ „Nothing good comes easy, days like this will break your heart“, „Silence is killing me, is driving me mad“, stehen den genialen Vorbildern in Sachen Schwermut und klagendem Weltschmerz um nichts nach.


Auch die oftmaligen Wort- oder Satzwiederholungen, ebenfalls bestens bekannt von den Editors, ein Stilmittel, um der Bedeutung noch mehr Ausdruck zu verleihen, die Dramatik noch mehr zu steigern. „I search again and again and again and again for love…“  „A Forest“ von The Cure läßt auch herzlich grüßen.

Ich kann mich an diesen Liedern einfach nicht satt hören. Ist mir schon lange nicht mehr passiert. Heavy Rotation. Dauerplay. Bin regelrecht süchtig danach und wochenlange Monopol Stellung. Und das bei dem so immens großen und ständig neuem Angebot. Einfach betörend. Mega. Endlich wieder mal eine Band, die mich komplett ins Traumland mitgerissen hat. Gerade in diesen komischen Zeiten den Alltag versüßen und ein schönes Stück leichter machen kann. Genau das vermag Musik zu schaffen und für diesen Effekt werde ich sie auch immerfort lieben.

 

Ich kann diesen „Klub der langsamen Leser“ einfach nur wärmstens empfehlen. Noch mehr, da sie sich hierzulande anscheinend noch nicht allzu großer Bekanntheit erfreuen. Wer diese Art von Musik goutiert wird es garantiert nicht bereuen. Und um für den Einstieg Zeit und Mühe zu sparen, habe ich noch schnell mein persönliches Ranking angefügt. Mit den Top Ten hätte ich begonnen, nun haben nicht mal 15 ausgereicht und mußten immer noch so einige großartige Nummern unberücksichtigt bleiben. Eine kurzweilige Compilation und „Best of“ ihrer bislang vier Platten. Enjoy!

 

The Slow Readers Club

1.      All I hear

2.      Everything I own

3.      I saw a ghost

4.      Fool for your philosophy

5.      You opened up my eyes

6.      Forever in your debt

7.      The Wait

8.      Lunatic

9.      Days like these will break your heart

10.   Two minutes hate

11.   Supernatural

12.   Barricades

13.   Problem Child

14.   Here in the Hollow

15.   Jericho

16.   The greatest Escape

17.   Start again

18.   On the TV

19.   Grace of God

20.   Distant Memory

Kommentar schreiben

Kommentare: 0