Der Ex-Smiths Gitarren Hero zu Gast in Wien- ein sehr emotionaler Abend unter Freunden und Gleichgesinnten.
Wenn ungewöhnlich viele Leute von der U4 Station Schottenring die Lände zwischen den wirren Gleisen der Straßenbahn Richtung Abgang zum Donaukanalwandern, dann ist entweder ein schöner Sommerabend oder ein gutes Konzertangesagt. Am 1. Dezember war schon aufgrund des Kalenders dann Zweiteres zutreffend. Und einer jener Abende, an dem das altehrwürdige Flex ausnahmslos für die Erwachsenen reserviert war. Mehr als erwachsen, denn die Menschen, dies ich an dem kalten Abend auf den Weg gemacht haben und mit den legendären Smiths, eine der einflußreichsten und charismatischsten Bands in der britischen (Indie-)Pop Geschichte in den 80er Jahren, aufgewachsen sind, bewegen sich in der Regelweit über 40 und aufwärts. Überdurchschnittlich viele Parkas mit den modigen Pelzkapuzen, enge Hosen, spitze Schuhe, Smiths T-Shirts, generell einige sichtbare Verehrer desbritischen Stils der 60er- und 70er-Jahre läuten diesen besonderen Abend ein und lassen mein Herz gleich höher schlagen.
Johnny Marr der geniale Gitarrist oben angeführter Band hat mit seinem wunderbaren neuen Album „Call The Comet“ und gleichnamiger Tour seinen Weg zum Glück auch in die Bundeshauptstadt gefunden. Was die Smiths damals leider nicht mehr schafften, da einem geplanten Auftritt in Wien der schmerzliche Split dieser so genialen Band zuvor gekommen ist. Schnee von gestern. Die Vorfreude ist riesig. Weiß man doch längst, dass auch einige alte Smiths Nummer am Programm stehen. Das Flex seit Wochen ausverkauft und rammelvoll. Hätte sich vielleicht auch die Arena angeboten. Aber irgendwie passt die alte, verruchte, dunkle und „abgefuckte“ Location perfekt zu diesem Konzert und Mann, der Zeit seines Lebens in Manchester mit seinen düsteren Industriegebieten und historischen Backsteinhäusern verbracht hat. Das im Verlauf auch stolz kundtut und das „a“ in Manchester so geil betont. Historische Indie- und Britpop-Hochburg.
Überraschend zeitig und pünktlich startet das Set. Drei Gitarren und ein Schlagzeug auf der kleinen engen Bühne. Und die geben von der ersten Minute Voll-Gas. Guter und sehr druckvoller Sound mit wahnsinnig viel Melodie. Johnny Marr wiegt sich in seinem hervorragenden Gitarrenspiel hin und her, umrahmt von Lichtkegeln, die die dicke, düstere, nebelige Luft durchdringen. Perfektes Gesamtbild, passend zur Musik, die ohnehin im Vordergrund steht. Mitreißend.
20.06 Uhr und erster absoluter Gänsehaut Moment, als Johnny die fetzigen Akkorde von „Big Mouth Strikes Again“, eines alten Smiths Klassikers anreißt und durch den dunklen Schlauch jagt. Das lässt niemand Anwesenden mehr kalt und noble Zurückhaltung gleich mal über Bord werfen. Neben den alten Hits stehen auch zwei ehemalige Electronic Nummern (Band Projekt mit New Order Sänger Bernhard Sumner aus den frühen 90er Jahren) auf dem Programm. „Getting Away WithIt“ und „Get The Message“- in neuem Gewande, das ebenso sehr gefällt. Sonst, und das zu Recht, vorwiegend Songs der aktuellen wunderbaren Platte- großartig das melodieseelige „Hi Hello“, die druckvollen „The Tracers“, „Day In Day Out“, das hypnotisierende „Walk Into TheSea" und viele mehr. Ein Album aus dem keine billige Kopie, sondern ein sehr gelungenes Remake des Jahrhundert-Werks „The Queen Is Dead“ wurde. Eine wahrhafte Smiths Platte, auf die viele Fans jahrzehnte-lang sehnsüchtig gewartet hatten und auch Morrissey nicht zustande gebracht hat (das vielleicht auch gar nicht wollte).„Warum nicht stolz auf die Smiths sein? Die Leute lieben sie immer noch und ich war Teil davon…“, hatte Johnny Marr vor einiger Zeit im Rolling Stone zum Besten gegeben. Und man kann ihm nur beipflichten.
Auch gesanglich beeindruckt der Gitarrist mittlerweile und steht seinem ehemaligen Kompanion, Bandleader und Mitgründer um nichts mehr nach. Im Gegenteil, der Gesang ist mehr als gut und die Smiths Nummern auch gesanglich sehr authentisch. Dies merkt man spätestens bei „How Soon Is Now“ ein weiterer Klassiker und einer der besten Smiths tracks. Von beiden mittlerweile liveerlebt und kein Vergleich. So ehrlich muss man auch als großer Morrissey Verehrer bleiben.
Und fuckin cool ist er, der Marr. Nicht nur Spielfreudig, sondern auchj ugendlich und fit wirkt der Musiker und Songschreiber. Und gut gelaunt. „Arey ou still with us? Cool, thanks!, raunt er im feinen mancunian Dialekt ins Publikum. Geiler Typ, der längst aus den großen Schatten getreten ist und sich emanzipiert hat. Aber nicht von den Smiths oder Morrissey. Sondern nach vielen Projekten endlich seinen eigenen Weggefunden hat, ohne seine Vergangenheit zu leugnen oder zu vergessen. Und es ist ein richtig guter. „Any requests?“ fragt er später und scherzt und lächelt, nachdem ihm vermutlich eine Menge Smiths Wünsche entgegen geworfen werden. Spielt dann spasshalber die ersten Akkorde vom grandiosen „This Charming Man“, um diese mit den Worten „I am fucking with you- see…“ leider gleich wieder unvermittelt zu beenden. Aber das alles immer nur an den Smiths festzumachen wäre auch viel zu kurz gegriffen und würde dem guten Mann auch längst nicht mehr gerecht werden. Sein Repertoire ist auch so ausreichend, das Set sehr stimmig, abwechslungsreich und kurzweilig. Und immer wieder diese Gitarren, diese wundervollen Riffs und Melodien. Das geht durch und durch. Er ist ein Genie und nicht umsonst vor kurzem wieder unter die besten und einflußreichsten Gitarristen aller Zeiten gereiht worden.
Und am Schluß noch der Höhepunkt, auf den wir uns doch alle schon so gefreut haben. Nach zwei Zugaben bringt er das zeitlose und so extrem romantisch berührende „There Is A Light That Never Goes Out“ mit dem tausendmal gehörten, mitgesungenen und mitgeträumten Sing-a-longs, die niemals sterben werden. „Take me out tonight, because I want to see people and I want to see lights…and if a doubledecker bus…to die by your side is such a heavenly way to die“. Und das so gut, dass ich mir denke, ob Morrissey, der König himself darüber vor Neid erstarren würde. Aber nur kurz. Zu bewegend diese Momente, dieser Abend und dieser Gig. Neues und altes sehr Gutes und so fein miteinander verbunden und ineinander verstrickt. Nostalgie im Hier und Jetzt. Bei vollem Bewusstsein und Dankbarkeit so etwas Großartiges erleben und verspüren zu dürfen. Gänsehaut, feuchte Augen, einfach Glückseeligkeit und ich merke, dass es nicht nur mir so geht. Wahnsinn. So schön.
Es gab in diesem Jahre so viele gute und besondere Konzerte und dieses zählt trotzdem mit Sicherheit zu einem der Allerbesten. Fakt. I am still with you, Johnny fuckin Marr!
Kommentar schreiben
Robert Wilfling (Sonntag, 10 Februar 2019 10:47)
Gut geschrieben und trifft es auf den Punkt. Auch ich habe diesen Abend sehr genossen und viele Erinnerungen kamen zurück .